Die Sensorik der Pflanzen
Die Sensorik der Pflanzen
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Mithilfe von mehr als 700 Sensoren, die im Pflanzenreich entdeckt wurden, analysieren Pflanzen ihre Umgebung fortlaufend, um Temperatur, Feuchtigkeit, Licht usw. zu messen. Diese breite Palette sensorischer Wahrnehmungen wurde im Rahmen von zahlreichen Studien von Pflanzenphysiologen untersucht.

Stefano MANCUSO, ein anerkannter Experte für die Signale und das Verhalten von Pflanzen, definiert Pflanzen als
« standortgebundene Lebewesen, die nicht fliehen können und keine Organe besitzen. Sie haben eine modulare Struktur, ähnlich der von Korallen. Wenn ein Pflanzenfresser 80 % der Pflanze frisst, überleben die restlichen 20 %. Das ist ein grosser Unterschied zu Tieren. Sie atmen ohne Lunge, entgiften ohne Leber, verdauen ohne Darm … und sind intelligent ohne Gehirn ».

Daniel CHAMOVITZ, Biologe an der Universität von Tel-Aviv und Autor des vor Kurzem erschienenen Werks «Was Pflanzen wissen» (Hanser, 2013), ergänzt diese Beschreibung wie folgt « Sie haben keine Augen und können trotzdem sehen, sie haben keine Nase und können trotzdem riechen, sie haben keine Ohren und reagieren trotzdem auf Geräusche ».

Der Gehörsinn

Desmodium gyrans (L.) DC., heute umbenannt zu Codariocalyx motorius (Houtt.) H. Ohashi, ist eine der seltenen Pflanzen, die zu schnellen Bewegungen fähig ist. Jedes Blatt verfügt an der Basis über ein Scharnier, mit dem sich die Blattspreite bewegen kann, um die Sonnenexposition zu optimieren. Diese Beweglichkeit könnte auch auf eine Verteidigungsstrategie gegen diverse Insekten zurückzuführen sein, das schnelle Drehen des Blatts könnte beispielsweise den Flug von Schmetterlingen nachahmen [Lev-Yadun 2013]. Noch überraschender ist jedoch die Tatsache, dass diese Hülsenfrucht aus dem tropischen Asien, die den Beinamen «tanzende Pflanze» trägt, ein Hörvermögen besitzt. Bei Lärm oder Musik bewegen sich die Blätter im Rhythmus. Sehen Sie selbst ...

Im Labor von S. Manusco stellte sein Team fest, dass sich die Wurzeln verschiedener Pflanzen dem Geräusch von Wasser, das durch ein unterirdisches Rohr fliesst, zuwenden. Das lässt darauf schliessen, dass Pflanzen das Geräusch von fliessendem Wasser wahrnehmen. Monica Gagliano von der Universität Crawley (Australien) stellte fest, dass Maiswurzeln zu einer Geräuschquelle mit einer Frequenz von etwa 200 Hz hin wachsen [Gagliano 2012]. Die Fähigkeit, sich an Geräuschen zu orientieren, ist also nicht nur Tieren vorbehalten, auch Pflanzen können Geräusche wahrnehmen und sogar erzeugen. Die Erforschung der akustischen Kommunikation von Pflanzen ist sehr vielversprechend [Gagliano 2013].

Der Geruchssinn

Die Nesselseide (Cuscuta pentagona Engelm.), eine schmarotzende Kletterpflanze ohne Chlorophyll, riecht die Präsenz von Tomatenpflanzen und haftet sich an sie.

Das Phänomen tritt auch auf, wenn man einen Träger mit Tomatenduft tränkt und in Reichweite der Pflanze stellt. Die Keimlinge der Nesselseide können die flüchtigen Bestandteile von Weizen von denen der Tomate unterscheiden und wachsen bevorzugt an letzterer. Die Beschaffenheit der Sensoren, die den Geruchssinn ermöglichen, ist unbekannt, unter den flüchtigen Mediatoren der Tomate können jedoch β-Phellandren, β-Myrcen und α-Pinen genannt werden [Runyon 2006; Mescher 2006].

Ian BALDWIN vom Max Planck Institute for Chemical Ecology in Deutschland kommentiert: «Zurzeit wissen wir nicht, was den Pflanzen als Nase dient, aber wir werden es im nächsten Jahrzehnt herausfinden».

Der Berührungssinn (mechanische Wahrnehmungsmechanismen)

Wir können noch einen weiteren Sinn hinzufügen, den Berührungssinn, über den beispielsweise die Mimose (Mimosa pudica L.) verfügt. Sie schliesst ihre Blätter sofort, wenn man sie berührt, ebenso wie fleischfressende Pflanzen, die mit aktiven Fallen Beute fangen können (hauptsächlich Insekten, Milben und andere kleine Wirbeltiere), z. B. die Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula Solander ex Ellis) und andere Sonnentauarten.

Die Schliessung der Blattlappen der Venusfliegenfalle wird durch sensible Härchen (normalerweise 6) auf den Innenseiten ausgelöst. Sobald ein Insekt eines der Härchen berührt, wird der Mechanismus ausgelöst, die Falle schliesst sich jedoch noch nicht vollständig. Hierzu ist innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne ein zweiter Kontakt erforderlich. Wahrscheinlich schützt sich die Pflanze vor unnötigen Anstrengungen (zum Beispiel für den Fall, dass nur ein abgestorbenes Blatt herunterfällt).

Der Berührungssinn ist beim Wachstum bestimmter Kletterpflanzen besonders stark ausgeprägt. Ihre Ranken suchen eine Halterung, um sich darum zu schlingen. Die Sensibilität kann extreme Formen annehmen, wie beispielsweise bei der Haargurke (Sicyos angulatus L.), die sich um einen 0,25 Gramm schweren Faden ranken kann, während ein menschlicher Finger diesen Faden erst ab einem Gewicht von 2 Gramm erkennt [Monshausen 2009; Monshausen 2013].

Die Wurzelspitzen sind extrem empfindlich für Umweltreize. «Die Spitze der Wurzel agiert als wichtigstes Sinnesorgan der Pflanze. Sie erkennt verschiedene physische Parameter wie Schwerkraft, Licht, Feuchtigkeit, Sauerstoff und essentielle anorganische Nährstoffe» [Baluska 2013].

Claude BERNARD und die Studien zur Betäubung von Pflanzen

Claude BERNARD (1813-1878) gilt als Begründer der experimentellen Medizin und zog in Betracht, dass Pflanzen auch Veränderungen in ihrer Umgebung wahrnehmen können. Er sprach von «Sensibilität».

Um diese Annahme zu überprüfen, betäubte er Pflanzen und belegte die Wirkung von volatilen Betäubungsmitteln auf verschiedene Prozesse wie die Keimung, die Photosynthese und die Bewegung der Pflanzen (C. Bernard, «Leçons sur les phénomènes de la vie communs aux animaux et aux végétaux», 1878). Die Betäubung kann als Verlust der Fähigkeit definiert werden, auf Umweltreize zu reagieren.

Bei den Neuronen handelt es sich um die Zellen von Lebewesen, die für Betäubungsmittel am empfindlichsten sind. Dies ist durch ihre Spezialisierung auf die Integration von sensorischen Informationen und eine hohe Wahrnehmung der Umwelt bedingt. Ähnlich sind auch pflanzliche Zellen reizbar, manche sind sogar auf die Wahrnehmung, die Übertragung und die Integration von sensorischen Informationen spezialisiert [Grémiaux 2014]. Claude Bernard kam zu folgendem Schluss: «Alles Lebendige muss fühlen und kann betäubt werden, der Rest ist tot».

Didier GUÉDON, Experte im französischen Ausschuss für die Pharmakopöe


Bibliographie :

Baluska F, Mancuso S. Root apex zone as oscillatory zone. Front Plant Sci 2013;4:e354.
Gagliano M, Mancuso S, Robert D. Towards understanding plant bioacoustics. Trends Plant Sci 2012;17:323-5.
Gagliano M. Green symphonies: a call for studies on acoustic communication in plants. Behav Ecol 2013;24:789-96.
Grémiaux A, Yokawa K, Mancuso S, Baluška F. Plant anesthesia supports similarities between animals and plants: Claude Bernard's forgotten studies. Plant Signal Behav 2014;9:e27886.
Lev-Yadun S. The enigmatic fast leaflet rotation in Desmodium motorium. Butterfly mimicry for defense? Plant Signal Behav 2013;8:e24473.
Mescher MC, Runyon JB, De Moraes CM. Plant host finding by parasitic plants: a new perspective on plant to plant communication. Plant Signal Behav 2006;1:284-6.
Monshausen GB, Gilroy S. Feeling green: mechanosensoring in plants. Trends Cell Biol 2009;19:228-35.
Monshausen GB, Haswell ES. A force of nature: molecular mechanisms of mechanoperception in plants. J Exp Bot 2013;64:4663-80.
Runyon JB, Mescher MC, De Moraes CM. Volatile chemical cues guide host location and host selection by parasitic plants. Science 2006;313:1964-7.